Eine Sichelzellkrankheit liegt definitionsgemäß dann vor, wenn der Anteil des Sichelzell-Hämoglobins HbS mehr als 50 % des gesamten roten Blutfarbstoffs ausmacht.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie das passieren kann.
Um diese Möglichkeiten zu verstehen, muss man wissen, dass jeder Mensch jedes Gen zwei Mal hat. Eine Kopie hat er von seiner Mutter geerbt, eine Kopie von seinem Vater. Das bedeutet, jeder Mensch hat auch zwei β-Globin-Gene, eins von seiner Mutter und eins von seinem Vater.
Ist eines dieser beiden β-Globin-Gene ein normales Gen und das andere ein verändertes Sichelzell-β-Globin-Gen, so bildet der Körper der entsprechenden Person normales Hämoglobin A und gleichzeitig das krankhafte Sichelzell-Hämoglobin HbS (s. Abb. 1). Da die Produktion von HbA etwas effektiver funktioniert als die von HbS und da rote Blutkörperchen, die HbA enthalten, länger leben als rote Blutkörperchen, die HbS enthalten, ist das Verhältnis von HbA zu HbS nicht 50:50, sondern ein bisschen zu Gunsten des HbA verschoben.
Ein Mensch, der ein normales Gen und ein verändertes Gen hat, hat daher meistens einen HbS-Anteil von ca. 40 %.
Da man erst an den Symptomen einer Sichelzellkrankheit leidet, wenn man einen HbS-Anteil über 50 % hat, ist ein solcher Mensch gesund. Da er aber die Veranlagung für eine Sichelzell-Krankheit in sich trägt, nennt man ihn „Träger“. In der Genetik spricht man bei dieser Konstellation auch von einer so genannten Mischerbigkeit oder Heterozygotie.
Erbt ein Mensch von beiden Eltern ein verändertes Gen, so kann er nur Sichelzell-β-Globin und damit auch nur noch HbS produzieren. Da er kein normales β-Globin-Gen in sich trägt, ist er nicht mehr Lage das normale HbA zu bilden. Der HbS-Anteil am Gesamthämoglobin steigt damit auf deutlich über 90 % und der Betroffene leidet an einer Sichelzellkrankheit. Eine solche Sichelzellkrankheit, deren genetische Grundlage die Reinerbigkeit (Homozygotie) für HbS ist, bezeichnet man als Sichelzellanämie.
Die Begriffe Sichelzellkrankheit und Sichelzellanämie werden oft synonym verwendet. Das ist aber falsch. Die Sichelzellanämie ist ein Subtyp der Sichelzellkrankheit bei Patienten mit einer Homozygotie für HbS.
Um zu verstehen, was eine Sichelzellkrankheit vom Subtyp der Sichelzell-β-Thalassämie ist, muss man zunächst wissen, was eine Thalassämie ist.
Die Thalassämie ist ebenfalls eine Hämoglobinopathie, also eine Erkrankung des roten Blutfarbstoffs. Bei der Sichelzellkrankheit wird ein fehlerhafter roter Blutfarbstoff gebildet, bei der Thalassämie wird ein intakter roter Blutfarbstoff gebildet, aber zu wenig davon. In Abhängigkeit davon, welches Gen betroffen ist, unterscheidet man zwischen α- und β-Thalassämien. Bei der α-Thalassämie werden zu wenig α-Ketten gebildet, bei der β-Thalassämie werden zu wenig β-Ketten gebildet.
In manchen Regionen der Welt, zum Beispiel im östlichen Mittelmeerraum, kommen die Sichelzellkrankheit und die β-Thalassämie sehr häufig vor. Es kann daher zufällig vorkommen, dass ein und die selbe Person ein Sichelzell-β-Globin trägt und das das zweite β-Globin-Gen eine Thalassämie-typische Veränderung hat.
Wenn Sie sich an den Abschnitt über die Gen-Träger zurückerinnern, so wissen Sie inzwischen, dass bei Trägern mit einem normalen und einem Sichelzell-β-Globin-Gen keine Sichelzellkrankheit auftritt, weil sie mehr HbA als HbS produzieren. Ist das zweite β-Globin-Gen aber Thalassämie-typisch verändert, so sinkt die HbA-Produktion und das Gleichgewicht von HbA und HbS kippt zu Gunsten des HbS. Je nachdem, welche Thalassämie-Mutation vorliegt, produziert der Körper deutlich weniger oder sogar überhaupt kein HbA mehr. In beiden Fällen leidet der Betroffene aber unter einer Sichelzellkrankheit, da der HbS-Anteil am Gesamthämoglobin auf über 50 % steigt.
Produziert der Körper neben dem HbS noch Rest-HbA, so spricht man von einer Sichelzell-β(+)-Thalassämie (s. Abb. 3). Der Krankheitssubtyp, bei dem nur noch HbS, aber kein HbA mehr produziert wird, heißt Sichelzell-β(0)-Thalassämie (s. Abb. 4).
Über die bisher beschriebenen Subtypen hinaus gibt es noch weitere Sichelzellkrankheiten, bei denen ein Gen die typische HbS-Mutation aufweist und das zweite β-Globin-Gen eine andere Mutation. Man bezeichnet diesen Zustand als compound-Heterozygotie. Beispiele sind die HbSC-, die HbSD- oder die HbSO-Arab-Erkrankung.